Frühlingsgefühle – Mythos oder Realität? (FINK Artikel März 2017)

Nergiz EschenbacherKörper, Psychotherapie

Praxis für Psychotherapie Freising, Nergiz Eschenbacher

Seit Januar 2017 finden Sie unter der Rubrik „Geist und Seele“ im Freisinger Stadtmagazin FINK von mir beantwortete Fragen zu Themen rund um unseren Körper, Geist und Seele. Hier der aktuelle Beitrag im Original zum Herunterladen: http://www.fink-magazin.de/ausgaben/maerz-2017/

Veronika der Lenz ist da

„Frühlingsgefühle – Mythos oder Realität?“

Die Wissenschaft ist fast einhelliger Meinung, dass es sie gibt und bezieht sich dabei auf das Hormon Melatonin, der vor allem nachts in unserem Körper produziert wird. Durch die längeren dunklen Tage haben wir im Winter somit einen höheren Melatoninwert und unsere Stimmung ist dementsprechend gedämpfter ebenso wie unsere Motivation zur Aktivität. Aber verabschiedet sich der Winter mit seinem dunklen Mantel und macht dem Frühling langsam Platz befeuert das Hormon Serotonin (auch Glückshormon genannt) durch die helleren Tage und dem Sonnenlicht im wahrsten Sinne des Wortes unsere Seele, unseren Körper und somit unsere Stimmung: wir fühlen uns aktiver und wacher. Naja, zumindest jene von uns, die nicht mit der Frühjahrsmüdigkeit beschäftigt sind, die letzten Melatoningeister aus ihren dunklen Höhlen auszutreiben. Hilfreich ist hier noch mehr Sonne, Sonne und Sonne.

„Was macht den die Sonne mit der Psyche?“

Tatsächlich ist es nicht, wie viele von uns gerne beteuern, die Wärme welche das ausschlaggebende Frühlingswohlgefühl herbeiführt, es ist vor allem das Licht. Licht ist eine wahre Quelle für unsere psychische Gesundheit. Auch hier sind es die Hormone, die daran beteiligt sind: neben dem bereits erwähnten Serotonin, werden nämlich Dopamin und Nordadrenalin aus dem Winterschlaf hervorgelockt, um unsere Lebensgeister zu wecken.  Das Licht bedeutsam für unsere Psyche/unseren Körper ist, zeigt sich in den verschiedensten Bereichen.

Beispielsweise gibt es einen Tageslicht-Wecker, der uns mit seiner fast identischen Wirkung, wie die Morgensonne ganz natürlich morgens aus dem Bett helfen kann. Die intensive Beleuchtungsstärke einer Lichttherapie kann sogar einer depressiven Erkrankung einen positiven Verlauf ermöglichen (bei depressiven Menschen ist der Melatoninwert im Vergleich nämlich erhöhter). Vielen von uns ist es auch vertraut zusätzlich Vitamin D[1]in Form von Tabletten oder Tropfen (besonders im Winter) zu sublimieren, damit wir uns vor grippalen Infekten bishin sogar von Muskelschwäche schützen können.

Neben dem Licht sind im Frühling allerdings auch andere Faktoren mitverantwortlich für unsere Hochstimmung. Es ist das Zusammenspiel aller sinnlichen Erfahrungen, die in uns tief verankerten Gefühlen in der Amygdala[2] heraufbeschwören. In dieser archaischen Gehirnregion sind unsere existenziellsten Erfahrungen, die mit Wohlgefühl zusammenhängen abgespeichert. Dabei handelt es sich natürlich um unsere real gemachten Erfahrungen, aber tatsächlich auch die systemischen Erfahrungen früherer (familiärer) Generationen bishin zum kollektiven Wissen[3] aller Menschen. So ist es nachvollziehbar, dass mit dem Frühling für den Urmenschen mehr Essen verfügbar gewesen ist und damit ein entspanntes Sattheitsgefühl ihn erfreute, das in unseren tiefsten Zellregionen als Wissen nachhallt. Die Wärme der Sonne verstärkt das Gefühl der Entspannung, indem sie unsere Körperzellen weicher und weiter macht und das “ uns Zusammen- und Anziehen müssen“ durch die Kälte endlich beendet. Die milden Düfte verbinden uns mit allen wunderbaren früheren Frühlingserfahrungen und unsere Augen erfreuen sich an dem nun sprießenden Grün von Pflanzen und Bäumen. Interessanterweise wird in der Chakrenlehre beispielsweise die Farbe „grün“ unserer Herzregion zugeordnet.

Kurz zusammengefasst: Im Frühling fühlen wir uns im Austausch und Zusammenspiel mit dem Licht und der Wärme der Sonne, der erwachenden Lebendigkeit der Natur und unserer Ganzheit (von Seele/Geist/Körper) pudelwohl, getragen und wohlig umarmt.

„Wie können wir unsere Hochstimmung für den profanen Alltag nutzen?“

Müssen wir das? Sollte „in Hochstimmung“ zu sein, ein immerwährendes Ziel sein? So wie die Jahreszeiten kommen und gehen, es den Wechsel von Kälte und Wärme, von Dunkel ins Licht, von Nacht und Tag, von abnehmendem und zunehmendem Mond, von Ebbe und Flut, von verwelkenden und wieder erblühenden Pflanzen usw. gibt, sind auch wir als Menschen mit diesen Zyklen der Natur verbunden. Durch unsere jahrhundertelange Kultivierung in allen unseren Lebensbereichen, dem wissenschaftlichen und industrialisierten Fortschritt und der relativ neuen Smartphone-Welt, vergessen wir scheinbar unseren Körper, der in seinem biologischen Aufbau mit allem Lebendigen auf Mutter Erde (von den Pflanzen bis zu den Tieren, den Wäldern, der Ozeane) nach wie vor verbunden und somit mit dem dazugehörigen natürlichem Werden und Sterben unterworfen ist. Wir sollten keine Angst vor unseren ganz eigenen menschlichen Zyklen haben, wie wachen und schlafen, erschöpft und voller Energie sein, trauern und lachen und vor allem auch mieser und dann wieder guter Stimmung. Ständig ausgeglichen und „gut drauf“ zu sein ist eher „widernatürlich“. Was wir tun können ist uns selbst eine gute Freundin/ein guter Freund sein. Die Lösung dafür können wir tatsächlich wieder in der Natur finden:

Im Winter ziehen sich die Pflanzen und Bäume maximal zurück und als einziges bleibt ihre Essenz des Lebens übrig. Sie begeben sie in diese Ruhe/den Schlaf, um sich den Bedingungen des Wetters bestmöglich anzupassen. Also, das was an Kraft noch aufgebracht wird, wird genutzt um die eigene Essenz aufrechtzuerhalten. Das passiert gleichermaßen in Momenten in denen wir uns in „tiefer Stimmung“ befinden. Diese hat nämlich auch die Funktion unsere essenzielle Kraft auf einem Minimum aufrechtzuerhalten und sie ist ebenfalls eine Anpassung an Umweltbedingungen. Wir können uns nun fragen, was in meinem Leben bringt mich und meine Natur dazu diesen Weg zu wählen? Indem ich beobachte, wahrnehme und im Idealfall erkenne, welche Faktoren meines Lebens mich zwingen meine Kraft zusammenzuziehen, um sie zusammenzuhalten, wird es mir möglich sein, genau in diese Bereiche meines Lebens im übertragenen Sinn wieder die Sonne scheinen zu lassen. Mit ihrem Licht und ihrer Wärme, kann ich mich öffnen und wachsen, um meine persönliche Schönheit und Kraft wieder zu entfalten.

Worauf will mich meine Stimmung aufmerksam machen:

  • auf mehr Ruhe
  • auf mehr Raum für mich und Achtsamkeit meiner Bedürfnisse
  • auf zu viele innere und äußere Zwänge/Erwartungen, die ich unkritisch erfülle, weil es immer schon so war
  • auf das ständige Funktionieren zu verzichten, und meiner menschlichen Zyklusnatur mehr zu entsprechen, indem ich mir mehr Pausen, Schlaf und Erholung gönne
  • auf Personen und Dinge in meinem Leben, die bereits lange „ausgemistet“ gehören
  • auf mehr Freude durch das Zusammensein mit Menschen, die ich liebe und die mir Kraft geben, statt sie zu rauben
  • auf mehr Unternehmungen in meinem Leben, die mir Freude und Begeisterung bereiten…

Die immer heller werdenden Tage und die warmen Sonnenstrahlen können uns dabei unterstützen, genau die Dinge, die uns mit Freude erfüllen ans Tageslicht treten zu lassen, um sie endlich aus dem tiefsten Dinkel unserer Seele hervorzuholen und sie sichtbar werden zu lassen.

„Wie können wir uns diese Gefühle länger bewahren?“

Indem wir tatsächlich immer wieder ins Licht gehen, im Hier und Jetzt wir selbst sind und uns solche wertvollen/raren Momente gönnen. Warum freuen wir uns denn auf den Frühling, den Sommer und auf den Urlaub? Weil wir genau in diesen Zeiten heraustreten aus der Alltagsmühle und Dinge unternehmen, die wir tatsächlich in der Sonne oder in den Ferien machen wollen und nicht nur solche, die wir müssen.

Statt dies auf wenige Inseln im Jahr zu konzentrieren, könnten wir viele solcher kleiner Momente in unseren Alltag einzubauen. Das müssen nicht große Veränderungen sein: z.B. statt mir den Kaffee/den Tee/den Saft im To-Go-Becher auf dem Weg zur Arbeit zu Gemüte zu führen, mir fünf Minuten morgens gönnen und in Ruhe den Geschmack, die Wärme, den Duft mit all meinen Sinnen aufzunehmen –  vielleicht das Ganze sogar in der Sonne auf dem Balkon/derTerrasse oder auf einer Parkbank. Jeder Moment, den wir bewusst durchleben, gibt uns das Gefühl von mehr Lebensqualität und das wiederrum ein mehr an Lebensfreude. Es uns – wenige Minuten – gemütlich zu machen und einfach mal zu Sein, kann uns erden, erfüllen und vor allem entschleunigen. Ist es uns zudem möglich in unseren Alltag eine kleine Abwechslung einstreuen, speichert unser Gehirn das auch als etwas Neues und somit Lebendiges und Erfüllendes, wie z.B.:

  • einen anderen Arbeits- oder Einkaufsweg zu nutzten, statt mit dem Auto mit dem Fahrrad zu fahren oder zu Fuß zu gehen,
  • neue Lebensmittel in den Einkaufswagen zu legen und zu probieren,
  • ein Schwätzchen mit dem Nachbarn zu halten, statt nur ein „Guten Morgen“ auszutauschen
  • einem lieben Menschen ohne Grund eine Postkarte zu schreiben und zu schicken…

und vieles vieles mehr.

In meiner Haut fühle ich mich wohl mit allen Dingen, die wohltuend für mich sind und meine Lebendigkeit durch inspirierende (neue) Dinge hervorkitzeln – ob nun bei Regen oder Sonnenschein.

Achten Sie gut auf sich! Herzlichst

Nergiz Eschenbacher

 

[1] Vitamin D kann nur mit Hilfe durch das Sonnenlicht von unserem Körper produziert werden.

[2] Kerngebiet des Gehirns, der eine bedeutsame Rolle bei der emotionalen Einschätzung und Wiedererkennen von Situationen spielt – unter anderem auf der Grundlage unserer Sinneseindrücke (wie riechen, schmecken, fühlen, hören und sehen).

[3]Eine Art kollektives Unbewusste, wie sie von C.G. Jung (Schweizer Psychotherapeut und Begründer der analytischen Psychologie) benannt wurde: es handelt sich dabei um eine allen Menschen gemeinsame Grundlage psychischer Funktionen.  Auch unser „Ich“ entwickelt sich auf der Grundlage von diesem kollektiven Unbewussten, laut Jung.