Wut

Nergiz EschenbacherPsychotherapie

Wut, Praxis für Psychotherapie Freising, Nergiz Eschenbacher

„Gefangener Ärger – Den Donner verschluckt, den Blitz gezähmt. Das Feuer entfacht, als Glut gedacht. Brodelndes Blut, gefesselt der Mut. Gebrodle, gezische, gedonner, geblitze. Gefangen ist er  – der Ärger im Bauch.“

Wut

Warum leben wir unsere Wut nicht? Wir spüren sie immer und immer wieder und wir verschlucken sie, verdrängen sie, essen oder trinken sie weg. Lieber motzen und kritisieren und sticheln herum, lästern, streiten, verurteilen, intrigieren, manipulieren, mobben, sind genervt und gereizt, könnten explodieren. „Schreien – endlich einmal aus dem tiefsten Bauch heraus schreien oder etwas klein schlagen dürfen, puh“, denken wir, „dann wäre es gut, dann wäre ich es los“.

Das Gegenteil kennen wir auch, dass wir kaum bis gar keine Wut verspüren und uns wundern, wenn andere sich über dies oder das aufregen. Vielleicht gibt es eine innere Wahrnehmung und ein Wissen darum, dass da in mir doch Wut schlummert, aber „wie soll ich sie zeigen oder leben?“. Ich habe Angst vor ihr, sogar ohne es bewusst zu wissen, verhalte ich mich danach. Ich verstecke sie in mir und glaube an die Sätze, die mir vielleicht in früheren Jahren vermittelt wurden.

Wut und verinnerlichte Glaubenssätze

Solange wie wir können, verbannen wir die Wut in unserem Innern. Wieso können wir sie nicht auf eine gesunde und angemessene Art und Weise ausdrücken? Wir sind aufgewachsen mit Sätzen, wie z.B. „der Klügere gibt nach“, „Sprich nicht so laut“, „Sei nicht so laut“, „Das geht auch leiser“ , „Ich bekomme Kopfschmerzen von dem Lärm“ oder „Wenn du schreist höre ich dir nicht zu“ oder „Bürschchen/Fräulein nicht in diesem Ton“ „Kinder sieht man, aber hört sie nicht“, „Hör auf zu schreien – es reicht jetzt“, „Reiß dich zusammen – du siehst hässlich aus“ –  und sie gehört sogar zu den sieben Todsünden.
Wir durften vielleicht nie die Erfahrung mit Vorbildern machen, die uns auf eine klare Weise gesunde Grenzen gezeigt und gesetzt haben. Uns wurde unsere Wut nicht gelassen, stattdessen haben Bezugspersonen:

  • sich von unserer Wut angegriffen gefühlt
  • auf unser wütendes Verhalten reagiert, aber nicht auf die Ursache davon
  • vor ihrer eigenen (unserer) Wut Angst gehabt
  • ihre eigene (unsere) Wut unterdrückt mit Geboten und Verboten
  • uns nicht vor äußerer Gewalt geschützt
  • Wut in Form von Aggression ungehemmt herausgelassen und uns damit Angst gemacht
  • sich uns gegenüber (seelisch, verbal, körperlich, sexuell) gewalttätig verhalten

Wut und Gesellschaft

Und was ist später, wenn wir erwachsen sind? Die Gesellschaft bestätigt, bestärkt und unterstützt solche oder ähnliche Erfahrungen, die wir gemacht haben. Sie will uns sachlich, ausgeglichen und kontrolliert. Wer seinem Ärger oder Wut (auch angemessen) Luft macht, wird belächelt, gilt als unsachlich und wird im schlimmsten Fall ausgeschlossen. Also auch in unserem späteren gemeinschaftlichen Umfeld dürfen wir selten bis nie die Erfahrung machen, dass unserÄrger/unsere Wut da sein darf. Statt Verständnis erleben wir oft, z.B. dass andere angespannt und vorsichtig mit uns umgehen. Dabei hat sie nichts und niemanden verletzt oder etwas „kaputt gemacht“  (bisherige gute Beziehungen), sondern sollte ein akzeptierter Teil unserer Gefühle sein.
„WutbürgerIn“ ist seit kurzem ein Schimpfwort und verleitet dazu jegliche Arten von Wut (ob angemessen oder unangemessen) über einen Kamm zu scheren und generell als „Nicht – Akzeptabel“ in uns und unserer Gesellschaft zu installieren. Unsere Ausdrucksmöglichkeit und der Schutz von Bedürfnissen, Grenzüberschreitungen, Ungerechtigkeiten wird immer mehr und mehr auf diese Weise abgeschnitten. Warum?
Weil wir alle ähnliche Erfahrungen gemacht haben: wir haben Angst vor dem, was hinter der Wut steckt: unserer Verletzungen. Und wir haben auch Angst davor, was hinter unseren Verletzungen steckt: unsere absolute (Lebens-) Kraft und Energie.

Unterdrückte Wut und ihre möglichen Ursachen

Wir haben deswegen gelernt unsere Wut zu kontrollieren und sie zu hemmen. Wir haben Angst davor:

  • die Kontrolle zu verlieren
  • zu verletzen
  • zu zerstören
  • etwas unwiederbringlich „kaputt“ zu machen
  • zu vernichten
und deswegen befürchten wir, wenn wir unsere Wut zeigen, dass:

  • ich nicht mehr akzeptiert werde
  • ich nicht mehr geliebt werde
  • ich verlassen werde
  • jemand (andere/r oder ich) stirbt
  • oder im schlimmsten Fall beim Anderen aggressives Verhalten mir gegenüber auslösen könnte.

In Wirklichkeit haben wir Angst vor unserer eigenen Kraft und gleichzeitig vor unserer größten Verletzlichkeit. Denn wir haben irgendwann in unserem Leben – vielleicht bereits so früh, dass keine Erinnerung mehr daran möglich ist, unsere Wut verschoben verdrängt, weggepackt, aber vor allem, sie unterdrückt. Denn zu dieser Zeit erschien sie uns zu gefährlich. Es ging vielleicht sogar um unser emotionales, psychisches oder sogar körperliches Überleben. Unsere Angst, unsere Ohnmacht, unsere Handlungsunfähigkeit haben uns dazu gezwungen und mit ihr gemeinsam haben wir unsere Wut in eine Kiste gepackt und so tief ins uns vergraben, das wir oft selbst nicht mehr wissen, wo sie liegt.

Wichtig! Unterschied zwischen Wut und Aggression

Wir verbinden Formen von Wut, Zorn und Ärger mit Gewalt und Krieg und sprechen über sie als kalte, blinde, kochende, cholerische, zerstörerische und mörderische  Wut.  WICHTIG ist es sich deutlich zu machen und zu wissen: es  gibt einen großen Unterschied zwischen Wut (einer gesunden und wichtigen Kraft des Lebens) und Aggression.
Aggression ist zielgerichtet, um jemand anderen oder uns selbst zu verletzen, wehzutun, zu vernichten. Das ist destruktiv und kommt nicht aus unserer Kraft, sondern aus unserer Schwäche, Ohnmacht und Verletzung, die verdrängt in uns schlummern und darauf warten, endlich gesehen und im Idealfall geheilt zu werden.
Meines Erachtens liegen hier die Wurzel von Auseinandersetzungen, Feindschaften, Gewalt bis hin zu kriegerischen Handlungen sowohl im Kleinen (Partnerschaft, Familie…alle zwischenmenschlichen Beziehungen) bis hin zu den großen Kriegen auf dieser Welt. Als Lösung versucht der Mensch die kleinstmögliche Form von Wut zu bannen und öffnet somit Tür und Tor für noch mehr verdrängte, ungelöste Wut. Diese erst kann zur Aggression werden, da sie dann plötzlich hervorbricht, explodiert und erst jetzt vernichtend und zerstörerisch werden kann bzw. ist. Das heißt, erst der Mangel an integrierter (vor allem versteckter und unterdrückter) Wut kann zu einem Zuviel an Gewalt werden.
Weil wir sie also vermeidet, unterdrückt, versteckt, im Stillen geschluckt,  loszuwerden versucht haben, bricht sie dann unkontrolliert oder in unangemessenen Situationen/Formen aus uns heraus.  Das wovor wir uns immer gefürchtet haben, passiert: wir sind zerstörerisch, anderen, aber vor allem uns selbst gegenüber.

Bedeutsam ist ihre Ursachen zu entdecken, zu erkennen, mit ihnen zu arbeiten und vor allem sie durchzuarbeiten, damit wir sie dann in eine Kraft umwandeln können, die uns als große konstruktive Kraft und Energie für unser Leben zur Verfügung steht.

Unterdrückte Wut und ihre Symptome

Leider wird die Wut in uns nicht einfach verschwinden. Im Gegenteil, sie lebt in uns wie eine tickende Zeituhr. Oft ist z.B. Angst eine große Hilfe um diese Wut in uns fest und vermeintlich sicher verwahrt zu halten. Unsere Angst ist nun der Wächter unserer Wut.
Neben der Angst kann sie sich noch auf viele verschiedene Arten zeigen:

  • In meinen Gefühlen
  • ich kann keine Wut wahrnehmen (stattdessen mehr Trauer, Enttäuschung, Verständnis, Angst etc.)
  • ich fühle mich unsicher und habe Angst davor abgelehnt zu werden
  • ich habe Schuldgefühle
  • ich fühle mich ohnmächtig
  • ich bin selbstverletzend oder -zerstörerisch
  • ich bin niedergeschlagen, depressiv bis hin zu Suizidalität

Wut und ihre wirkliche Funktion

Wut ist eine gesunde Kraft in uns, die wie jede andere Emotion eine wichtige Funktion für uns hat. Wut warnt nämlich vor Schwierigkeiten in Beziehungen, ist ein Signal dafür, dass eine Situation aufgelöst oder verändert werden muss, hilft heftige Angriffe und Bedrohungen abzuwehren, und als ungerechtfertigt erlebte Hindernisse zu überwinden und moralische Empörung auszudrücken. Sie ist somit unser Antriebsmotor um

  • uns unsere Wünsche/Bedürfnisse erfüllen zu können (z.B. Dinge einfordern, die ich brauche und die mir zustehen oder mir vorenthalten werden, worauf ich ein Recht habe)
  • Grenzen zu setzen (z.B. wenn jemand meine Grenzen nicht beachtet hat, diesen aus meinem „Revier“ zu vertreiben und so ihrer/seiner Grenzen zu verweisen)
  • uns wehren zu können (z.B. kämpfen, wenn jemand mich schädigt oder verletzt, damit sie/er aufhört)
  • andere schützen zu können (z.B. mich für Personen einsetzten, denen das alles widerfährt)
  • und vielleicht sogar irgendwann einen Beitrag in dieser Welt zu übernehmen, um Veränderungen herbeizuführen.

Biologisch gesehen ist die Wut also vor allem bedeutsam für das Regulieren unseres Zusammenlebens  in Beziehungen und sozialen Gemeinschaften. Sie ist Ausdruck von Lebendigkeit und der Zugang zu unserer Kraft und kann uns motivieren Energien zu entwickeln um unsere Wünsche und Ziele zu erreichen.

Welche Möglichkeiten habe ich mit meiner Wut umzugehen?

Unsere Wut tatsächlich auf positive und konstruktive Weise zu nutzen – braucht etwas Zeit und Arbeit – ist aber durchaus erlernbar.

  • In Kontakt mit mir

Ist viel Wut in mir, ist es wichtig sie als eine große Ladung an Energie zu sehen, die ein Ventil braucht. Sie will tatsächlich in irgendeiner Form genutzt und entladen werden und im Idealfall können wir sie umwandeln in eine Kraft, die für uns, unsere Beziehungen oder unser Umfeld etwas bewegt und verändert:

  • Wut einfach spüren – immer wieder in uns „hineinhorchen“ emotional und körperlich, in ganz kleinen Schritten und sie erst einmal als „da“ wahrnehmen und uns bewusst werden, dass sie nicht zwangsläufig zerstörerisch sein muss. D.h. dieses intensive Gefühl in uns relativieren. Aus ihrer Natur heraus, will sie uns natürlich in die Aktivität bringen, weil sie ursprünglich als Handlungsmotor in Gefahrensituationen gedacht war. Aber in unserer heutigen Zeit müssen wir das sehr selten sofort tun. Also ihr Raum und Zeit geben
  • In akuten Situationen kann helfen, z.B. bis zehn zählen; gegen eine Hauswand treten;  um den Block laufen;  im Auto mit lauter Musik fahren und so laut schreien, wie es geht; tönen;  singen;  tanzen;  Dynamische Meditationen;  (Kampf-) Sport machen oder einfach Laufen gehen. D.h. hier kommt es darauf an die Energie der Wut über den Körper in den Ausdruck zu bringen.

Wann braucht meine Wut tatsächlich Hilfe

Deutlich wird im vorhergehenden Absatz – vor allem in den ersten Punkten  –  dass Wut tatsächlich erst in unser Bewusstsein muss und der Umgang mit ihr immer wieder trainiert und geübt werden will.

Wenn  ich merke, dass ich oft ohne wirklich aktuelle Anlässe oder den aktuellen Anlässen nicht angemessene Wutreaktionen habe und zeige, liegt ihre Ursache wahrscheinlich tiefer und braucht die Begleitung von professioneller Seite.

Das gilt ebenfalls, wenn ich feststelle, dass ich so gar keine Wut verspüre und wahrnehme, mit der Folge sehr schlecht für mich selbst, meine Bedürfnisse und Grenzen einsetzen zu können. Hier können belastende frühere Erlebnisse zugrunde liegen, die eine achtsame, geschützte Begleitung notwendig machen.

Wichtig ist, dass wir uns bewusst werden, dass unterdrückte Wut einen sehr großen Teil von unserer vitalen Energie als Mensch bindet und uns somit nicht zur Verfügung steht. Auf längere Sicht gesehen, kann sie sogar gesundheitsschädlich sein.  Verschiedene wissenschaftliche Studien belegen, dass häufig unterdrückte Wut Krankheiten hervorrufen können, z.B. bis hin zu schweren Herzerkrankungen. Freier Umgang mit Wut macht diese Energie verfügbar.

Wie arbeite ich in meiner Praxis mit Wut

Mit meinem ganzheitlichen Ansatz ist es möglich der Wut auf verschiedene Weise zu begegnen. Zunächst einmal ist es wichtig die Wut in die Wahrnehmung zu bringen:

  • sie darf erst einmal einfach da sein – in einem geschützten Raum
  • wie und wo zeigt sie sich in mir, meinem Körper, meinen Beziehungen
  • zu erkennen, wie bin ich mit meiner Wut umgegangen oder habe sie verhindert
  • welche Abwehr habe ich gegen oder statt meiner Wut entwickelt
  • die Erfahrung machen zu dürfen, dass sie da sein darf, ohne, dass sie im Außen Schaden anrichten wird
  • kennenzulernen, dass Gefühl nicht gleich Handlung sowie Phantasie nicht gleich Realität bedeuten muss
  • kennenzulernen, dass ich meinem Willen vertrauen und meine Gefühle/Wut steuern kann (im Gegensatz zu einem Kind, das es noch lernt)

Da sie eine sehr intensive und geladene Gefühlsenergie ist, ist es wichtig sie in den Ausdruck zu bringen und so auch Möglichkeiten kennenzulernen, um mit ihr auf eine gesunde Art und Weise umzugehen:

  • z.B. mit Hilfe der Methode EMDR. Aktuelle Wutthemen werden als Ausgangspunkt genommen. Die Stimulierung der beiden Gehirnhälften über die Augen oder über die Knie, können uns evtl. ihre Ursachen zeigen und gleichzeitig den Abbau von Körperspannungen ermöglichen.
  • z.B. mit Hilfe der Körperarbeit kann festgehaltene, blockierte Energie in unserem Körperzellgedächtnis bearbeitet werden (Körperarbeit ist meines Erachtens untrennbar mit Wutarbeit)
  • ihr Ausdruck ist erlaubt (natürlich ohne Selbst- oder Fremdschädigung), wie z.B. Wutgefühle aussprechen, Schreien, Tönen, Dynamische Meditation, Baseballschläger auf Kissen hauen, Schimpfen, Schreiben, Malen, Toben …

…und das alles ohne Wertung und Verurteilung, sondern mit Zeit, Achtsamkeit, Raum und Verständnis.

 


Quelle Serge Sulz, http://edoc.ku-eichstaett.de/13577/1/Sulz_Wut_ist_eine_vitale_Kraft.pdf


 

Interview mit Karl-Heinz-Böhm: „Wut muss nicht destruktiv sein“.

Dass, ohne Wut und Empörung der Motor zum Widerstand fehlt, zeigt ein Ausschnitt aus einem Interview mit Karl-Heinz-Böhm aus der FAZ Online vom 16.03.2008, das ich sehr schön finde:

Frage: „Man spricht ja oft von zornigen, jungen Männern. Sind Sie ein zorniger, alter Mann?“

Karl-Heinz-Böhm: „Sie können von einem zornigen Menschen sprechen, nicht aber von einem alten oder jüngeren. In den ersten Monaten, als ich in Äthiopien mit der Situation in dem Land konfrontiert wurde, hat sich diese Wut bei mir sehr stark entwickelt, weil es eine solche Diskrepanz zwischen Arm und Reich bei uns auf dem Planeten Erde gibt, die wir einfach nicht akzeptieren sollten. Die Wut muss ja nichts Destruktives sein. Sie kann auch sehr konstruktiv sein, wenn man sie dazu benutzt, etwas aufzubauen. Das ist eine der Grundlagen von „Menschen für Menschen.“

Die Organisation von Karl-Heinz-Böhm „Menschen für Menschen“ gibt es nun seit ca. 35 Jahren! Aus der Wut geboren!

(Quelle: FAZ – Das Gespräch führte Marc Hairapetian – http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kino/karlheinz-boehm-im-gespraech-wut-muss-nicht-destruktiv-sein-1510369.html)