November (FINK Artikel November 2017)

Nergiz EschenbacherHistorie, Psychotherapie

Praxis für Psychotherapie Freising, Nergiz Eschenbacher, Fink-Magazin

Seit Januar 2017 finden Sie unter der Rubrik „Geist und Seele“ im Freisinger Stadtmagazin FINK von mir beantwortete Fragen zu Themen rund um unseren Körper, Geist und Seele. Hier der aktuelle Beitrag im Original zum Herunterladen: http://www.fink-magazin.de/ausgaben/november-2017/

„Allerheiligen – was geschieht an so einem Tag, an dem man an den Tod denkt, mit der Psyche?“

Diejenigen, die diesen Tag als religiösen Feiertag tatsächlich begehen, könnten wohl der Probandengruppe, die sich ganz bewusst mit dem Tod auseinandersetzen musste, in einer der bedeutendsten sozialpsychologischen Forschungsgruppe zur Todesfurcht („Terror-Management-Theorie-TMT“), gezählt werden.

Alle anderen können sich der zweiten Gruppe anschließen, die unbewusst dem Thema der eigenen Sterblichkeit begegnen. Sie wie auch wir müssen dabei eine große kreative innerpsychische Leistung vollbringen. Wir sind täglich der Herausforderung ausgesetzt der Sicherheit unseres Todes (der einzigen übrigens in unserem menschlichen Leben) und dem ausgeprägten Überlebenstrieb in uns auszuloten. Der Mensch hat dazu sinnvoller Weise die Kultur erschaffen. In dieser ist es uns möglich, neben der natürlich biologischen Unsterblichkeit durch eigene Kinder, mit bedeutsamer Literatur, Kunst, Religion, sozialem Engagement, Architektur, historischer Bedeutsamkeit usw. usw. uns ein sicheres Gerüst zu erschaffen. Diese Kulturleistungen haben natürlich entsprechende Normen und Werte, die unser Sicherheitgefühl aufrechterhalten. Werden sie allerdings durch Delinquenten (die sich nicht an diese Normen und Werte halten) oder gar „Fremden“ (einfach durch die Fremdheit ihrer Kultur) „bedroht“ und zwar nachdem wir mit unserer eigenen existenziellen Angst konfrontiert wurden, neigen wir laut dieser Studien dazu, dass wir Personen, Symbole (Deutschlandfahne) und gar Produkte (wie z.B. Automarken) mit gleichem kulturellen Hintergrund bevorzugen. Unsere Werte, Normen und unsere Kultur gleicht somit unserem LEBENssinn und will unbedingt bei existenzieller Angst als Versicherung desgleichen gewahrt werden (vgl. dazu Katrin Löhnig „Nur herein Gevatter Tod“) und zwar in Form von Intoleranz. Die Gedanken an unsere Sterblichkeit erhöhen allerdings auch unseren Wunsch auf körperliche Nähe (z.B. setzten sich Probanden in einem Wartezimmer näher aneinander), wir sind hilfsbereiter und weniger egoistisch, allerdings nur, wenn dies bis dato auch zu unserer Persönlichkeit gezählt hat. Materialistisch oder Profitorientierte unter uns neigen dazu, noch mehr für sich zu hamstern, um es dann hemmungslos auszugeben (natürlich auch erst nach der unbewussten Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit). Diese Wahrheit über unsere menschliche Existenzangst bringt nicht gerade unsere schmeichelhaftesten Seiten zum Vorschein. Allerdings gibt es natürlich wie immer das Licht im Dunkel unserer psychischen Abwehrmechanismen. Denn laut dieser Studie hat unsere Existenzangst keine Chance uns zu leiten, wenn wir achtsam mit unseren Bedürfnissen im Hier und Jetzt leben. Wem das zu anstrengend ist, kann sich im Geiste vorstellen, fliegen zu können. Gepaart mit dem steigenden Humor kann unsere Existenzangst nicht mehr über unsere Vorlieben oder gar Vorurteile bestimmen!

„Wieso ist seit einigen Jahren auch Halloween so beliebt? Das ist ja wohl kein Gag der Kürbisindustrie?“

Kinder verhüllt in grusligem Gewand wandern von Tür zu Tür und zeichnen so ganz ungewollt sowohl die große Reise des Halloween-Rituals, als auch ihre unterschiedlichen „Verkleidungen“ nach. Frei nach dem Sinn „am Ende kommt zusammen, was zusammen gehört“ nahm Halloween seinen Lauf in Europa und kommt nun hier wieder an. Diese begann nämlich im Reich der Kelten und galt damals unter dem Namen „Samhain“  als eines der größten Feste. Das Ende des Sommers und das Neue Jahr mit Winterbeginn zum 31.10. wollte gefeiert werden. Gleichzeitig wussten die Kelten damals, dass die Seelen verstorbener AhnInnen ebenfalls in dieser Nacht die letzte Möglichkeit auf Unsterblichkeit in einem lebendigen Körper erlangen konnten. Diese galt es nun Abzuschrecken und in die Irre zu führen mit großen Feuern und dem Tragen schrecklicher Masken. Unter der folgenden 400 Jahre währenden römischen Herrschaft über die Kelten wurde Samhain zum Ehrentag sowohl der Toten als auch der römischen Göttin (der Früchte und Bäume) Pomonas ernannt. Die Christianisierung erst gab ihm den aktuellen Namen und Platz am „Vorabend von Allerheiligen“ (entspricht: „All/Aller – Hallows/Heiligen – Evening/Abend“) durch  Papst St. Bonifaz IV zum Gedenken aller Heiligen und Märtyrer. Einwanderer Irlands und Großbritanniens gaben nun dem christianisierten Halloween eine neue Heimat in Amerika. Die Integration alter irischer Legenden, z.B. des „Jack O`Latern“ (beleuchteter Kürbis) in die dort vorgefundenen Strukturen (Kürbisse statt Rüben) gebaren dann den heutigen Kürbiskult. Denn ein Deal mit dem Teufel verdammte diesen Trunkenbold nach seinem Ableben zwischen Himmel und Hölle hin- und herzuwandern. Damit er nicht im Dunkel tappen musste, erbarmte sich der Teufel einer Rübe mit beheizter Kohle. Die ersten pragmatisch veranlagten Einwanderer USA`s ersetzten einfach die dort fehlenden Rüben mit den mehr verfügbaren Kürbissen und geboren ist das Corporate Identity des heutigen Halloweens. Zur Freude aller Kinder wurde auch aus der frühen christlichen Tradition Irlands (11. Jhd.) am Allerseelentag kleine Brote mit Johannisbeeren („Seelenkuchen“) an Bettler als Gegenzug zum Beten für Verstorbene, zu verteilen, abgewandelt. Mit freudiger Aufregung dürfen sie nun „Saures“ androhen und „Süßes“ einfordern. Die Globalisierung und das Näherrücken der Länder mit ihren Feierlichkeiten mit einer Prise fehlender nicht mehr gelebter religiöser Rituale öffnen nun auch bei uns in Europa Tür und Tor für alle Lebenden, Verstorbenen und Geister und geben diesen so Halt in einer sich immer schneller, verändernden Welt.

„Und dann noch der liebe Nikolaus. Aber soll der strenge Krampus auch zu den Kindern kommen? Was bedeutet das für die kleine Kinderseele?“

Ebenso, über die für uns Erwachsenen als böse und zuweilen gewalttätig anmutenden Märchen, wundern wir uns manches Mal über den Kult des bösen Krampus. Bergen die Märchen und dieser vielleicht doch Nachteile für die kleine Kinderseele? Teils, teils! Das liegt nicht an der Sache bzw. hier an einer traditionellen Figur an sich, sondern an ihrer Gestaltung und Umsetzung. Wird der Krampus in seiner ursprünglichen Form und Bedeutung nicht von den Bezugspersonen als negatives Erziehungsstilmittel missdeutet und genutzt, dann kann es sogar den Kindern in ihrer Entwicklung helfen. Denn, wie die heutige Pädagogik weiß, haben z.B. Konsequenzen direkt nach einer Missetat nachhaltigeren Erziehungswert, als wenn Kinder erst Monate später beispielsweise am Nikolaustag für ihre Taten im März gerügt werden. Gleiches gilt für den altbekannten Satz „wenn heute Abend Mama/Papa nach Hause kommt, dann…“.

Stattdessen können wir dem Kind die wertvolle Möglichkeit geben, sich mit den zwei Seiten „Gut“ in Form der Figur des Bischofs Nikolaus (und seinen Forderungen) und dem „Böse“ in Form des Krampus sich verstanden zu fühlen, sich selbst zu verstehen und zu lernen mit inneren Konflikten umzugehen. Denn, der Krampus zeigt zum einen allein durch seine Anwesenheit, dass das „Böse, Wütende, Aggressive und auch Angstmachende“ nicht nur eine Daseinsberechtigung auf der Welt hat, sondern sogar als zum „guten“ Menschen zugehörig (e Gefühle sind) ist. Das Kind kann sich so bei eigener Wut, Aggression und Angst nicht per se als „falsch, schuldig oder schlecht“ fühlen. Der Krampus darf „da – sein“ und zwar in der ehrenvollen Aufgabe als Begleiter und Unterstützer des guten Bischof Nikolaus. So zeigt sich der kindlichen Seele, dass das „Böse“ und das „Gute“ auch in ihm als „Paar-tnerschaft“ lebt und leben kann. Mit dieser Sicherheit ist es viel einfacher das innere „Böse und Angstmachende“ zu überwinden. Zudem hat der Krampus (ursprünglich) auf das Wort des Nikolaus zu hören und so erlebt das Kind real vor den eigenen Augen, dass das „Gute“ mit dem „Bösen“ verhandeln und zu guten Lösungen kommen kann. Das macht Mut, gibt die notwendige Motivation und den Glauben das vermeintlich innere „Böse“ in Form von Wut, Aggressionen und Ängste etc. jederzeit bewältigen und überwinden zu können.

Achten Sie gut auf sich!

Herzlichst

Nergiz Eschenbacher